MS hat Tatjana Kuhlmann zwar dazu gezwungen, das Handballspielen aufzugeben. Ihrer Lebensfreude konnte die Erkrankung aber nichts anhaben. Schon früh hat sich die 44-Jährige geschworen: „Diese beiden Buchstaben" – so nennt sie ihre Erkrankung –
werden sie nicht unterkriegen. Statt Handball zu spielen, fährt die Architektin Rad, wandert und hat gerade das Walken für sich entdeckt. Lesen Sie das komplette Interview:
Ich erinnere mich sehr genau. Es war während eines Portugal-Urlaubs im Sommer 1989. Ich wollte gerade ins Meer zum Schwimmen gehen. Da bemerkte ich, dass irgendetwas nicht stimmte: Mit einem Bein spürte ich die Kälte des Atlantiks, mit dem anderen fühlte ich Wärme. Heute weiß ich, dass diese Empfindungsstörungen für MS typisch sind.
Nein, ich habe zunächst überhaupt nicht darauf reagiert, denn es ging auch wieder weg. Doch in den Wochen darauf hatte ich immer wieder Empfindungsstörungen unterschiedlichster Art. Irgendwann ging ich dann doch zu verschiedenen Ärzten. Von ihnen wurde ich ein halbes Jahr lang untersucht – allerdings ohne Diagnose. Die bekam ich erst, als ich nach Weihnachten ins Krankenhaus musste. An den Feiertagen und darüber hinaus fühlte ich mich elend. Immense Müdigkeit, Schwindel und Übelsein machten mir zu schaffen. In der Klinik wurden dann auch Untersuchungen zur Diagnose von MS gemacht – und von diesem Zeitpunkt an wusste ich es.
Ich war Handballerin und hatte bis dahin 20 Jahre lang gespielt. In dieser Zeit habe ich gelernt zu kämpfen. Ich habe mir gesagt: Ihr zwei Buchstaben, wenn ihr glaubt, dass ich in Zukunft im Rollstuhl Sport machen werde, dann habt ihr euch getäuscht – da mache ich nicht mit. Mein Vorteil in dieser Zeit war, dass es mir zum Zeitpunkt der Diagnose ganz gut ging. Dem Anschein nach hatte ich nichts. Ok, habe ich gedacht, wenn das immer so ist, dass ich manchmal was habe, aber das auch wieder verschwindet, dann kann ich damit leben.
Das waren – und sind bis heute – vor allem meine Eltern. Und sicher ist diese positive Grundeinstellung auch ihrer Erziehung geschuldet. Hinzu kommt, dass ich Einzelkind bin und mir immer das Gefühl vermittelt wurde: Du bist etwas ganz Besonderes. Aber auch mein Arzt hat mir bei meiner Einstellung zu MS geholfen: „In den Medien sieht man sowieso immer nur die schlimmen Fälle, obwohl nur ein kleiner Teil der Patienten tatsächlich auf den Rollstuhl angewiesen ist“, sagte er.
Auch dabei war mein Arzt eine große Hilfe. Er sagte: Du lebst ruhiger, wenn du das für dich behältst. Diesen Rat habe ich befolgt. Zunächst habe ich auch meinem damaligen Arbeitgeber nicht von meiner Erkrankung erzählt. Als wir aber den Auftrag bekamen, ein Haus für betreutes Wohnen zu planen – unter anderem eine Wohnung für eine MS-Patientin – habe ich mich dann zu erkennen gegeben. Und das war die richtige Entscheidung: Mein Chef reagierte absolut fürsorglich und war mir eine große Hilfe in den sechs Jahren, in denen ich für ihn arbeitete. Heute bin ich selbstständig.
Ja, das ist mir wichtig. Und es geht ja auch – viele Dinge wie Gefühlsstörungen bekommen andere ja gar nicht mit. Krank sein als Dauerzustand und zwar nach innen wie nach außen – das kam für mich nicht in Frage. Auch dabei half mir meine Handball-Erfahrung. Wenn ich da einmal eine gewischt bekommen habe, hieß es „Aufstehen und Weitermachen“.
Ich habe zunächst weitergespielt – immer zwischen den Schüben, weil ich zu dieser Zeit auch für meine Mannschaft im Angriff ziemlich wichtig war. Aber das war nicht gut. Denn ich habe gemerkt, dass ich vom Spielen neue Schübe bekomme. Irgendwann kam dann die Erkenntnis: Handball ist jetzt nicht mehr dein Sport.
Die Ärzte empfahlen mir: Du darfst so viel Sport machen, dass du nicht ins Schwitzen kommst. Aber ich konnte nicht anders, also bin ich auf mein Fahrrad gestiegen. Das war mir vertraut, das kannte ich. Schon mit meinen Eltern bin ich als kleines Kind in der Freizeit Fahrrad gefahren. Hier auf dem Land liegt das nahe.
Es tut mir sehr gut – allein die Dehnung und die Bewegung. Zumindest solange mich nicht falscher Ehrgeiz packt und ich unbedingt den vor mir liegenden Berg ohne Pause überwinden will – dann riskiere ich natürlich einen neuen Schub. Aber man lernt ja dazu.
Ja, besonders in den Urlauben wandere ich gern. Dabei kommt mir aber immer wieder mein sportlicher Ehrgeiz in die Quere. Beispielsweise beim Bergwandern auf La Palma. Da hatte ich mich mehrfach übernommen. Und dafür Schübe kassiert. Das war nicht vernünftig – aber mein Gott, wenn sich die Gelegenheit schon einmal bietet. Schließlich hatte ich mir geschworen, mir durch diese zwei Buchstaben nicht mein Leben diktieren zu lassen.
Fernsehen und zwar den ganzen Tag. Nein, natürlich nicht. Aber im Ernst: Man muss sich irgendwie beschäftigen. Doch Kommentare von außen wie: „Du musst dann mal auf den Stepper gehen“ sind alles andere als hilfreich. Meistens verziehe ich mich in mein Bett und warte dort. Es tut mir in dieser Situation ja nichts weh. Ich kann nur einige Körperteile nicht gut bewegen. Irgendwann komme ich dann von selbst wieder herausgekrabbelt. Bis dahin bin ich aber auch durchaus in der Lage, am Computer zu arbeiten. Und das Telefon bimmelt sowieso, egal wie ich mich fühle. Meine Bauprojekte müssen weiter betreut werden – da nimmt keiner Rücksicht drauf, zumal ich mich da auch weitgehend bedeckt halte.
keine Strafe, sondern eine Herausforderung. Die muss man annehmen, dann kann man alles schaffen. Als nächste Herausforderung sportlicher Natur habe ich mir jetzt das Walken vorgenommen.
Frau Kuhlmann, wir danken Ihnen für das interessante Gespräch.