MS & ich: Herr Dogan, Sie betreuen als MS-Nurse seit vielen Jahren MS-Patient*innen. Was ist Ihre zentrale Botschaft an sie hinsichtlich der Erwartungen an eine Therapie?
Tahin Dogan: Patienten können heute sehr viel von ihrer MS-Therapie erwarten. Wir empfehlen ihnen, möglichst frühzeitig eine hocheffektive Therapie zu starten. Damit kann die Progression gestoppt oder die Erkrankung sogar zum Stillstand gebracht werden. Besser früh als zu spät beginnen – eine Therapiepause kann jederzeit eingelegt werden, ein zu später Start aber nicht wieder eingeholt werden.
Ganz konkret: Wann ist der richtige Zeitpunkt, eine MS-Therapie zu starten?
Idealerweise nachdem der Patient die Diagnose erhalten hat, wenn die Blutergebnisse und die MRT-Ergebnisse vorliegen.
Welche Erwartungshaltung können Patient*innen bei ihrer ersten Therapie haben?
Das kommt auf die jeweilige Therapie an, es gibt hier sehr unterschiedliche Möglichkeiten. Abhängig davon kann man bei jeder Therapie ein Therapieziel prognostizieren. Allgemein ist zu sagen: Heutige Therapien können Schübe verhindern, Beschwerden verbessern und einen Stillstand der MS erreichen. Entscheidend ist dabei immer ein frühzeitiger Therapiestart.
Tahin Dogan
ist medizinischer Fachangestellter mit Schwerpunkt MS:
„Die Entscheidung für eine Therapie trifft der Patient selbst. Sie müssen mitmachen wollen, und wir unterstützen sie dabei. Das braucht Vertrauen und Zeit auf beiden Seiten.“
Multiple Sklerose ist nicht heilbar. Aber Therapien können den Verlauf günstig beeinflussen. Wie vermitteln Sie Ihren Patient*innen, dass dies schon ein großer Erfolg sein kann, eine Aussage zum Ausmaß der Wirksamkeit der gewählten Therapie im Einzelfall aber nicht möglich ist?
Wir informieren unsere Patienten umfassend zu allem rund um Therapiemöglichkeiten und -ziele, in dem Zusammenhang auch zu Verträglichkeit, Wirksamkeit, Schubreduktion etc. und zeigen ihnen anhand von Studien, dass durch die MS-Medikation ein günstigerer Verlauf möglich ist. Das heißt, wenn Patienten früh mit einer hocheffektiven Therapie starten, kann auch der Therapieerfolg entsprechend hoch ausfallen. Aber jeder Patient ist anders. Manche entscheiden sich bewusst gegen eine Therapie, zum Beispiel weil sie keine Beschwerden haben. Keine Symptome zu haben, bedeutet aber nicht unbedingt, dass im Körper nichts passiert. Oft ist das eine vermeintliche Ruhe.
Was sagen sie diesen Patient*innen?
Wir empfehlen ihnen zumindest jährliche MRT-Untersuchungen. Nur so haben wir eine Verlaufskontrolle, können über das MRT sehen, ob etwas Neues dazugekommen ist – gerade auch, wenn Patienten keine Beschwerden haben. Läsionen müssen keine Symptome verursachen, sind aber über das MRT sichtbar. Ist das der Fall, empfehlen wir ihnen eine Therapie. Die heutigen MS-Therapien sind hochwirksam, gleichzeitig haben sie wenige Nebenwirkungen.
Thema Nebenwirkungen – diese sind bei jeder Therapie in Art und Ausprägung sehr verschieden. Wie bereiten Sie Ihre Patient*innen darauf vor?
Auch hier gilt: Kein Patient ist wie der andere. Eine allgemeine Aussage zu Nebenwirkungen ist daher nicht möglich. Im konkreten Fall versuchen wir individuell herauszufinden, woher die Beschwerden beim Patienten kommen und ob es tatsächlich Nebenwirkungen der MS-Medikation sind. Zum Beispiel können auch andere Medikamente unabhängig von der MS-Therapie die Ursache dafür sein.
Sind individuelle Ziele, die ein*e Patient*in sich selbst setzt, der Schlüssel für die richtige Erwartungshaltung bei einer MS-Therapie?
Wenn der Krankheitsverlauf schon weit fortgeschritten ist, ist es schwierig, durch einen Therapiewechsel eine echte Besserung der Beschwerden zu erzielen. Aber auch hier lässt sich sagen, dass die aktuell verfügbaren Medikamente die Symptome lindern und das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen können. Auch hier gilt: Ein frühzeitiger Therapiestart hat bessere Aussichten auf einen Therapieerfolg. Wichtig ist immer, dem Patienten gegenüber ehrlich zu bleiben, ihn oder sie aber auch bei der Therapie zu halten, zu motivieren. Viele Studien zeigen, dass Therapieerfolge nicht immer gleich ersichtlich sind, sondern sich erst über einen längeren Zeitraum, unter Umständen mehrere Jahre, zeigen.
Kann man sagen, Studienpatient*innen sind im Vorteil, weil es mehr Sichtbarkeit zum Krankheitsverlauf gibt?
Ja, aber auch Fragebögen und Apps ermöglichen diese Sichtbarkeit. Wir empfehlen unseren Patienten beides. Über Online- oder Printfragebögen und verschiedene Apps sind sie auch aktiver in ihre Therapie miteingebunden.
Wie wichtig ist die Therapietreue für den Therapieerfolg?
Natürlich ist Regelmäßigkeit ein wichtiger Faktor für den Therapieerfolg – das vermitteln wir unseren Patienten auch. Bei Untersuchungen kontrollieren wir das zum Beispiel über die Blutergebnisse. Deshalb ist es wichtig, dass Patienten regelmäßig zu uns kommen. Erfreulicherweise sind sie sehr therapietreu, wie wir feststellen können.
Welchen Vorteil haben Patient*innen, wenn sie zu ihnen, in eine neurologische Praxis mit Schwerpunkt MS, kommen?
Sie profitieren von unserer Spezialkompetenz und unserem Spezialwissen. Die Entscheidung für eine Therapie trifft der Patient selbst. Das heißt, sie müssen mitmachen wollen und wir unterstützen sie dabei. Das braucht Vertrauen und Zeit. Wir haben einen vertrauensvollen Kontakt zu unseren Patienten und die Zeit nehmen wir uns gern für sie.
Herr Dogan, wir bedanken uns sehr herzlich für das Gespräch.