Viele Menschen mit Multipler Sklerose bemerken irgendwann im Laufe ihrer Erkrankung, dass die Blase oder der Darm nicht mehr richtig funktioniert. Die Auswirkungen lassen sich jedoch behandeln, und auch Sie selbst können einiges tun.
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Wie Nervenschädigung mit Blasen- und Darmstörungen zusammenhängen1
Nerven im zentralen Nervensystem (ZNS) und Muskeln müssen korrekt zusammenarbeiten, um Körperfunktionen zu steuern. Werden bei MS entsprechende Nervenzellen in den Zentren des ZNS angegriffen oder zerstört, können neurogene Blasenfunktionsstörungen oder Störungen im Darm entstehen. Oft zeigen sie sich erst bei länger bestehender Multipler Sklerose.
Neurogene Blasenfunktionsstörung bei Multipler Sklerose
Blasenfunktionsstörungen treten bei 50 bis 90 % der MS-Patienten auf.1 Bei 10 % sind sie das erste Symptome der MS.1
Je nach Lage der Läsionen können bei MS drei Typen von Blasenstörungen auftreten:
Typ 1: Unfähigkeit Urin zu speichern
Am häufigsten zeigt sich die „überaktive“ Blase (30 bis 90 %).2 Normalerweise verspürt ein Mensch erst ab einer Füllmenge von 200 ml den Drang, die Blase zu entleeren. Eine Beeinträchtigung der Nerven kann dazu führen, dass die Blase sich bereits bei kleinsten Urinmengen übermäßig anspannt und verkrampft. Bereits durch eine geringe Menge Urin wird so ein sehr starker Harndrang ausgelöst. Betroffene müssen dann häufiger nachts zur Toilette, scheiden jedoch immer nur kleine Mengen Urin aus. Ist der Blasenschließmuskel betroffen, entleert sich die Blase unwillkürlich. Man spricht dann von Inkontinenz.
Typ 2: Probleme bei der Blasenentleerung
Eine gestörte Blasenentleerung ist seltener (5 bis 20 %).1 Durch eine verminderte Kontraktion der Blase kann es dabei zu einer verzögerten und inkompletten Entleerung der Blase kommen. Wird die Blase schließlich zu voll, kann sie „überlaufen“. Bereits ein leichter Husten verursacht dann möglicherweise einen unkontrollierten Urinverlust (Inkontinenz). Restharn kann zu chronischen Blasenentzündungen oder Nierenprobleme führen.
Typ 3: Probleme, Urin zu speichern und die Blase zu entleeren
Oft treten beide oben genannten Blasenstörungen kombiniert auf (30 bis 65 %).1 Dies ist gekennzeichnet durch Harndrang, Starthemmung, ein unterbrochener Harnstrahl mit Entleerung kleinster Mengen Urin, eine Entleerung häufig nur mit Stimulation, das Gefühl einer vollen Blase nach dem Toilettengang, ein erneuter Toilettengang nach kurzer Zeit und ein häufiger Restharn.
Störungen der Blase bei MS verursachen weitere Probleme
Durch die ständige Überdehnung der Blase nehmen Harndrang, Inkontinenz oder Harnverhalt immer weiter zu. Dies führt zu gesundheitlichen Problemen, aber auch zu erheblichen Beeinträchtigungen im partnerschaftlichen, sozialen und beruflichen Leben.
Durch die Entleerungsstörung der Blase bei MS bleibt unter Umständen Restharn zurück. Das kann zu chronischen Harnwegsinfektionen führen.
Das Leben mit Schamgefühl
Störungen der Funktion von Blase und Darm bei MS sind für viele Betroffene nicht nur ein hygienisches Problem, sondern auch mit starken Schamgefühlen verbunden. Über Inkontinenz redet man nicht gerne. Weder mit dem Partner noch mit einem Freund, einer Freundin oder Ärzten. Deshalb wird oft auch der Arztbesuch hinausgezögert.
Lieber geht man in die Isolation und versucht selbst, das Problem zu lösen. Besonders die Inkontinenz beeinträchtigt die Lebensqualität erheblich. Schamgefühl, Isolation und Depression sind oft die Folge. Unbehandelt können Blasenstörungen neben einer zunehmenden Immobilität weitere gesundheitliche Risiken wie Harnwegsentzündungen mit sich bringen.
Wer Probleme mit der Blasenentleerung oder der Darmfunktion bei sich entdeckt, sollte sich daher vertrauensvoll an einen Arzt oder seine MS-Schwester wenden. Mit der MS-Schwester können Patienten nicht nur über ihre Gedanken und Sorgen im Umgang mit diesen schambesetzten Themen sprechen. Sie gibt auch weitere wichtige Ratschläge und Hilfen, wie Patienten durch eigenes Handeln die Behandlung unterstützen können.
Sollten Sie im Verlauf der MS von Blasenproblemen oder Darmfunktionsstörungen betroffen sein, können Sie von einer Behandlung der Symptome stark profitieren und Ihre Lebensqualität erheblich verbessern.
Symptomatische Therapie bei Problemen von Blase und Darm durch MS3,4,5
Eine qualifizierte Beratung und Behandlung durch Experten auf diesem Gebiet unterstützen dabei, die Lebensqualität und Selbstständigkeit zu erhalten. Hier ist es notwendig, dass möglichst unterschiedliche Fachrichtungen miteinander arbeiten. Erst Urologe, Ernährungsberater, Physiotherapeut, Ergotherapeut, Psychologe und Verhaltenstherapeut, MS-Schwester und Neurologe gemeinsam können alle Aspekte von Blasenfunktionsstörungen in der Behandlung berücksichtigen.
Der Urologe wird nach der Diagnose eine symptomatische Therapie einleiten, welche die Symptome lindern oder gar beseitigen kann. Dazu gehören zum Beispiel:
Trinkmengenberatung
Viele Menschen versuchen ihrem Problem damit zu begegnen, dass sie nur noch sehr wenig trinken. Genau das Gegenteil wäre jedoch richtig! Wenn Sie zu wenig trinken, können sich Blasen- und Nierensteine entwickeln. Lassen Sie sich von Ihrem behandelnden Arzt über die Trinkmenge und Verteilung über den Tag beraten.
Gesunde Ernährung
Wenn Sie unter Verstopfung leiden, hilft es, wenn Sie mindestens 1,5 Liter Flüssigkeit pro Tag zu sich nehmen und sich ballaststoffreich ernähren, beispielsweise mit Vollkornprodukten, Obst und Gemüse. Mehr über eine gesunde Ernährung bei Multipler Sklerose erfahren Sie hier.
Hilfsmittel wie Einmalkatheter zur Blasenentleerung und Einlagen
Zur Behandlung von Inkontinenz und zur Vermeidung von Harnwegsinfekten ist die regelmäßige oder dauerhafte Harnableitung über einen Katheter eine wirksame Methode. Sich selbst einen Blasenkatheter zu setzen ist sicherlich nicht einfach oder angenehm. Sprechen Sie mit Ihrem Arzt. Er wird Ihnen eine erfahrene Kraft zur Seite stellen, die Ihnen alles zeigt, damit Sie sicher im Umgang mit dem Katheter werden.
Physiotherapie zur Stärkung der Beckenbodenmuskulatur
Wenn Sie unter Störungen von Darm und Blase bei MS leiden: Unterstützend wirken Beckenbodentraining und das Biofeedbackverfahren, bei dem man lernt, Funktionen im Körper wahrzunehmen, die normalerweise unbewusst ablaufen, und diese aktiv zu kontrollieren.
Medikamentöse Therapie und Hilfsmittel
In schweren Fällen von Verstopfung helfen Abführmittel oder ein Einlauf (Klistier). Bei Inkontinenz des Darms können MS-Erkrankte Analtampons nutzen. Medikamente können bei Harnwegsinfekten, Blasenentleerungsstörungen und auch Verstopfung helfen. Sprechen Sie mit Ihrem Arzt.
Mit diesen Maßnahmen kommen Betroffene oft schnell wieder in ihr gewohntes Leben zurück.
MS konsequent behandeln – von Anfang an
Um die Krankheitsaktivität bei Multipler Sklerose von Anfang an so gering wie möglich zu halten und das Gehirn zu schützen, ist es wichtig, frühzeitig auf sichtbare, aber auch unsichtbare MS-Symptome zu reagieren. Je früher die Multiple Sklerose behandelt wird, desto länger können MS-Erkrankte ohne wesentliche Beeinträchtigungen leben.6
Im Laufe der Erkrankung können sich Ihre Symptome verändern. Sowohl in ihrer Ausprägung als auch in der Häufigkeit. Achten Sie auf Veränderungen und sprechen Sie mit Ihrem Arzt, wenn Sie dies bemerken. Zu einer langsam fortschreitenden Krankheitsverschlechterung kann es beispielsweise kommen, wenn eine schubförmig remittierende MS (RRMS) in eine sekundär progrediente MS (SPMS) übergeht. Vielleicht hilft Ihnen unser „Symptom-Check MS“ dabei, Veränderungen im Auge zu behalten.
Wenn Sie erste Anzeichen für eine Funktionsstörung des Darms oder der Blase bei einer MS-Erkrankung spüren, vereinbaren Sie einen Kontrolltermin bei Ihrem Neurologen. Probleme mit der Blase wie häufiger Harndrang oder Harnverhalt können auf eine erste Krankheitsaktivität der MS hinweisen, die schnell behandelt werden muss. Wenn die Basistherapie nicht mehr ausreicht, sollten Sie mit Ihrem Arzt auch über eine mögliche Umstellung auf eine MS-Therapie für eine (hoch-)aktive Verlaufsform sprechen.
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Quelle(n):
1 Sackmann A, Winke A: Blasenstörungen bei Multipler Sklerose, MS-Magazin NRW, Herausgeber: DMSG-Landesverband NRW, ISSN 1616-7643, Ausgabe 3(2017).
2Urologielehrbuch - neurogene Inkontinenz
3 DGN-Leitlinien: Diagnose und Therapie der Multiplen Sklerose, Stand: Januar 2012, Ergänzung April 2014.
4 Bethke F, Schipper S: Multiple Sklerose ganzheitlich behandeln. Deutscher Medizin Verlag 2010.
5 Henze T: Symptome besser erkennen und behandeln. Zuckschwerdt 2013.
6 Tintoré M. Early MS treatment. Int MS J. 14(1):5–10 (2007).