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Ela ist Mitte 40 und lebt mit RMMS. Sie und ihr Mann Mick haben uns erzählt, warum es so wichtig ist, für Normalität im Leben zu sorgen.

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Ihr Weg zur Diagnose war ein langer. Erzählen Sie uns davon?

„Ich war jung, ich hatte Pläne.“

Sie: Es war Sommer, ich war 21, meine Tochter 1 1/2 Jahre alt. Seit einigen Monaten war ich in Festanstellung in meinem Traumberuf im Kindergarten tätig. Wenige Tage vor unserem Türkeiurlaub war ich wegen starker Schmerzen im linken Auge beim Augenarzt. Direkt vom Augenarzt musste ich zum Neurologen. Dieser sagte mir nach der Untersuchung, dass ich evtl. erblinden könnte und schnellstens ins Krankenhaus müsse. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich heulend in einer Telefonzelle stand und meine Mutter anrief. Erst einige Tage später bekam ich ein Bett im Krankenhaus. Es wurden viele Untersuchungen gemacht, u. a. ein MRT, eine Lumbalpunktion und ich bekam Kortison. MS wurde nicht erwähnt, ich wusste, dass meine Bettnachbarin MS hat und dieselben Untersuchungen hatte wie ich, darüber nachgedacht habe ich aber nicht. Am Montag habe ich auf eigene Gefahr das Krankenhaus verlassen, um in den Urlaub zu fliegen, obwohl die Ärzte eindringlich davon abrieten. Als ich den Entlassungsbrief bekam hat niemand mit mir geredet. Als ich ihn zu Hause öffnete, stand darin etwas von einer nicht hundertprozentigen MS Diagnose. Das habe ich erstmal so hingenommen und bin in den Urlaub geflogen.

„Mir geht’s gut, ich will das nicht mehr. Ich bin gesund.“

Den Urlaub konnte ich genießen, heute weiß ich es hätte es auch anders ausgehen können. Nach dem Urlaub bin ich zu meinem Hausarzt gegangen. Er war recht beruhigend und hat mir erklärt, dass man auch mit MS gut leben kann. Ich sollte mich und meinen Körper weiter beobachten und einmal im Jahr zum Neurologen gehen. Über MS wusste ich nichts. Es gab eine Schulfreundin meiner Mutter, die wir oft besuchten als ich Kind war. Sie saß mal im Rollstuhl, manchmal ging sie am Rollator und es standen immer viele Medikamente auf ihrem Tisch.

Gedanken über die Diagnose machte ich mir immer erst, wenn es wieder Zeit für die Untersuchung beim Neurologen war.

Die Untersuchung war für mich sehr unangenehm, denn ich fand den Neurologen ganz schrecklich. Es war ein älterer Mann mit einer ganz dicken Brille. Auf der Liege kam er mit seiner Lupe sehr dicht an mich ran, um meine Augen zu untersuchen. Ich war nur zweimal dort, denn es ging mir ja weiterhin gut. In den folgenden Jahren hatte ich öfter mal eingeschlafene Arme, Kribbelgefühle und auch manchmal Schmerzen in den Gelenken. Wahrscheinlich waren das bereits leichte Schübe, aber an MS habe ich nicht gedacht.

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Haben Sie mit jemandem über diese andauernde Ungewissheit gesprochen?

„Ich habe einfach gelebt.“

Sie: An weitere Besuche beim Neurologen habe ich nicht gedacht, und was die Symptome sind wusste ich ja nicht. 1996 gab es diese Broschüren und die vielen Informationen aus dem Netz ja noch nicht. Ich habe nicht darüber geredet, weil es mir lange gut ging. Das erste Mal, dass ich mit jemandem darüber gesprochen habe, war während der zweiten Schwangerschaft. Ich hatte das Gefühl, dass die Kraft in meinen Beinen im Laufe des Tages nachlässt und erzählte meiner Hebamme von dieser nicht 100% Diagnose. Sie beruhigte mich und es war dann auch schnell wieder alles gut. Erst die Krebsdiagnose meines Vaters hat die MS so richtig ausgelöst. Ich konnte nicht mehr laufen, hatte plötzlich Blasenprobleme und einen Hörsturz. Das war der Zeitpunkt, als ich meinen Bruder anrief und nach der Nummer seines Neurologen fragte. Mein Bruder bekam die Diagnose MS etwa ein Jahr vor mir. Es folgten dieselben Untersuchungen wie bei meinem ersten Krankenhausaufenthalt, diesmal war die Diagnose 100%ig. Mit meinem Ex-Mann und auch in der Familie hatte ich bis dahin nicht über MS gesprochen. Es ging mir ja gut, diese erste Diagnose war immer im Hinterkopf, aber es hatte sich ja nichts geändert bei mir, es war also kein Thema. Mein Bruder sprach auch nicht groß darüber, körperlich geht es ihm bis heute besser als mir.

Wie ist das in der jetzigen Partnerschaft – sprechen Sie offen über die MS-Erkrankung?

Er: Ich wusste von Anfang an von ihrer Diagnose und wir reden schon immer ganz offen darüber. Ich hatte zwar von MS gehört, aber der Einstieg in die Erkrankung mit ihren Auswirkungen kam erst, als wir uns kennengelernt haben. Und das auch ziemlich rapide, das ging von null auf hundert in drei Sekunden. Damals habe ich das natürlich noch durch die rosarote Brille betrachtet. Heute weiß ich, dass ich im Grunde nicht wirklich wusste, was das bedeutet.

Sie: Ich habe ihn damals mehrmals gefragt, ob ihm bewusst sei, dass ich chronisch krank bin, dass es nicht besser wird, und ob er wirklich damit umgehen könne. Einige Wochen vor meiner ersten Reha habe ich ihm ein Buch über MS gegeben. Zu Beginn unserer Beziehung war ich ja nicht so eingeschränkt, wie ich es jetzt bin. Ich habe gearbeitet, bin einkaufen gegangen, habe mich um das Haus und den Garten gekümmert und konnte mit ihm spazieren gehen. Mir wurde im Laufe der Jahre klar, dass ich irgendwann auf den Rollstuhl angewiesen sein werde. Bei allen Schüben, die regelmäßig im Frühjahr und Herbst kamen, waren es nur die Beine, die schwächer wurden und in den Jahren verlor ich auch mehr und mehr an Wegstrecke. Im Gegensatz zu meinem Mann wusste ich, dass die MS im Rollstuhl enden kann. Er hat das alles tatsächlich das erste Mal bei mir gesehen und durch mich kennengelernt.

Wie haben Sie sich als Partner über die MS informiert?

Er: Wir lernten uns auf einer Geburtstagsfeier kennen und wurden Freunde. Ich wollte von Anfang an immer wissen, wie es ihr geht und welche Auswirkungen diese Erkrankung auf sie hat. Das kann morgen so und übermorgen so sein, das weiß man nicht. Ich finde, vor allem als Partner sollte man das tun, auch wenn es natürlich hart ist. Schließlich bedeutet es, sich selbst damit zu konfrontieren, dass irgendetwas passieren kann und sich von Knall auf Fall alles ändert.

Sie: Nach der Trennung von meinem Ex-Mann kam nach einigen Monaten Mick jeden Abend nach der Arbeit zu mir in die Reha, um mich eine halbe Stunde zu sehen. Er hat auch seinen Sommerurlaub dort mit mir verbracht. Er hat sich angeguckt, was ich bei den Therapien mache, war bei der Physiotherapie dabei und hat sich Vorträge angehört. Er war so interessiert und hat so um mich gekämpft. Im August wurden wir dann ein Paar.

Patienteninterview Ela Partner

„Wir werden sehen, was passiert.“

Er: Die Kontrolle darüber zu haben, was im Leben geschieht, ist zum großen Teil sowieso eine Illusion, denke ich. Mit dieser Einstellung haben wir uns auch arrangiert. Es nützt weder mir noch meiner Frau etwas, wenn wir uns in Szenarien reinsteigern, die theoretisch stattfinden könnten. Wir haben uns unbewusst, ohne es je ausgesprochen zu haben, dafür entschieden, einfach zu leben. Wir lassen es auf uns zukommen und ich denke, wir fahren damit ganz gut.

Was hilft Ihnen als Partner und Paar im Umgang mit der MS?

Er: Die Diagnose MS ist auch für den Angehörigen eine echte mentale Herausforderung. Was sicherlich immer ganz hilfreich war, waren die Patiententreffen. Sie geben einem das Gefühl, nicht vollkommen allein zu sein in dieser Situation, mit seinen Gedanken und dieser Last. Aber die meiste Kraft ziehen wir beide wirklich aus unserem Miteinander und den Gesprächen zwischen uns beiden.

Sie: Ich habe vorher alles allein gemacht. Seit wir zusammen sind, kommt er mit zu meinen Arztterminen, unterhält sich mit der Neurologin und stellt Fragen, an die ich nicht denke. Zu den Patientenforen bin ich immer allein oder mit einer Freundin gefahren, jetzt kommt er mit. Und wir haben hier einen Stammtisch mit MS-Betroffenen und deren Partnern, bei dem wir einfach Spaß haben. Manchmal reden wir über die MS, manchmal über ganz andere Themen.

„Gespräche mit Gleichgesinnten entkrampfen den Umgang mit der Erkrankung doch recht deutlich.“

Er: Generell hat sich der Umgang mit der Erkrankung fundamental verändert. Wie man mit ihr umgeht, hängt viel damit zusammen, wie aufgeklärt man darüber ist. Deswegen sind Öffentlichkeitsarbeit, Social Media und Gespräche wie dieses so wichtig. Nicht nur für die gesamte Wahrnehmung der Erkrankung, sondern vor allem für die Wahrnehmung der Erkrankten.

Sie: Wenn es mir gut geht, laufe ich manchmal einfach los, ohne mich darauf zu konzentrieren, ob ich es so mache, wie mein Physiotherapeut es mit mir übt, damit ich sicher gehe. Dann passiert es, dass ich, so wie gestern, über meinen Fuß stolpere. Darüber lache ich dann. Selbst als ich die Treppe hinuntergepurzelt bin habe ich gelacht. Auch wenn das natürlich nicht zum Lachen war und es ein wirklich böser Sturz war. So bin ich eben.

„Ich lache gerne über mich, wenn etwas Blödes passiert.“

Er: Das ist wirklich eine bemerkenswerte Eigenschaft an meiner Frau, die ihre sehr positive Einstellung zum Leben zeigt. Davor habe ich bis heute wirklich großen Respekt. Wie man mit dieser Situation umgeht, ist natürlich sehr individuell. Man sollte flexibel sein und jeden Tag so nehmen, wie er kommt. Das ist zumindest das Rezept, das für uns funktioniert. Ein wichtiger Schritt ist, auch mit der chronischen Erkrankung eine Art Normalität zu erzeugen. Denn für uns ist dieses Leben ja völlig normal. Aber am wichtigsten ist die Kommunikation miteinander; es ist wichtig, über seine Befindlichkeiten und auch Ängste zu sprechen und sich nicht abzuschotten.

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Fällt es Ihnen denn immer leicht, über Ihre Sorgen zu sprechen?

„Wenn er sich zurückzieht, geht es mir natürlich auch nicht gut.“

Er: Auch wenn ich jetzt viel und offen erzähle, fällt mir das tatsächlich nicht immer leicht. Ich beschäftige mich oft mit mir selbst und ziehe mich dafür zurück. Dadurch entsteht natürlich eine unheimliche Spannung zwischen uns.

Sie: Er schluckt seine Sorgen dann runter und ich versuche ihm zu erklären, dass er in dem Moment eigentlich das Gegenteil bewirkt. Dann denke ich nämlich, dass er eben nicht für mich da ist, weil er gedanklich nicht anwesend ist und nicht schaut, ob ich z. B. die Treppen schaffe oder nicht. In solchen Momenten sage ich ihm, dass es wichtig ist, dass er genau dann mit mir redet – auch wenn es ihm schwerfällt.

Er: Mir setzt es ja auch zu, wie es ihr geht. Das ist ein emotionaler Abschottungsmechanismus, der dann einsetzt. Wenn es ihr richtig schlecht geht, kann ich schließlich nicht sagen, dass alles super ist. Das klappt vielleicht eine Weile, aber irgendwann schlägt das natürlich auf mich zurück.

„Es ist MS und es ist immer unterschiedlich.“

Sie: Ich habe seit letztem Jahr Pflegegrad 3, das ist natürlich nicht ohne. Mal schaffe ich es, mich auszuziehen, und mal eben nicht. Wenn er komisch drauf ist und sich verschließt, geht es mir auch schlecht. Und genau dann bekomme ich die Socke nämlich nicht allein aus und er geht einfach an mir vorbei. Dann weiß ich, dass es Zeit ist zu reden, und danach ist es auch wieder gut. Es ist so verdammt wichtig, dass auch er über seine Sorgen redet, mich nicht verschont. Nicht nur wegen der MS, auch über seine Arbeit, Freunde oder sonstiges.

Was ist Ihr größter Verlust durch die MS?

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Sie: Ich habe 21 Jahre lang im selben Kindergarten gearbeitet, das war mein Leben, die Kollegen wie Familie. Mittlerweile brauche ich selbst Ergotherapie und muss vieles üben, z.B. schreiben, Schleife binden, Knöpfe zumachen. Ich wusste zwar immer, dass ich jünger aufhören würde zu arbeiten als meine Kolleginnen, aber dieser Absprung von heute auf morgen, ohne Abschied, war ein harter Einschnitt.

Er: Dass aus einer Dauerkrankschreibung tatsächlich eine Rente werden würde, war schon eine tränenreiche und sehr traurige Zeit für meine Frau. Damit endete ein wichtiger Lebensabschnitt, und in diesem Fall unwiederbringlich.

„Ich kann mit meinem Enkel nicht so Oma sein, wie ich es möchte.“

Sie: Ich war so gerne in diesem Beruf und habe es geliebt, mit Kindern zu arbeiten. Mittlerweile bin ich Oma, leider kann ich meinen Enkel nicht auf den Arm nehmen, um ihn zu beruhigen. Wenn er bockig ist, habe ich Schwierigkeiten, ihm die Schuhe anzuziehen. Ich kann nicht mit ihm spazieren gehen, Schaukeln, am Boden spielen, da ich selber schlecht laufen kann und kaum eine Wegstrecke schaffe oder vom Boden aufstehen kann. Es ist nicht mehr so wie früher, dass ich Cortison bekomme und danach alles wieder gut ist. Diesen „Schalter“ gibt es für mich nicht mehr.

„Manchmal will man einfach das Normale.“

Egal welches Hindernis, mein Mann ermöglicht vieles. Er fährt mich zu meiner Freundin, wenn ich selbst nicht fahren kann, damit ich rauskomme. Er schickt mir jemanden aus dem Bekanntenkreis, der mich mit meinem Rollator oder Rollstuhl abholt und zum Konzert seiner Band bringt. Wir machen Wochenendreisen, gehen essen und in Bars. Oft sage ich, dass er lieber allein gehen soll, aber dann schafft er es mich doch zu überzeugen. Und hinterher bin ich froh, dass ich dabei war, denn sonst würde ich das alles nicht mehr machen.

Er: Diese Immobilität, die die Erkrankung mit sich bringt, bedeutet auch Isolation für meine Frau. Ich glaube, es ist wichtig, dass man am Ball bleibt und seine Außenkontakte hält, um am Leben teilnehmen zu können. „Ich weiß, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, aber du machst es möglich.“

Sie: Als wir uns kennenlernten, gab es einige Situationen, in denen immer wieder „Lifesaver“ von Sunrise Avenue im Radio lief. Dieses Lied begleitet uns seitdem.

Er: Bei einem Auftritt meiner Band bei einem Stadtfest habe ich diesen Song gesungen. Zum Ende des Songs bin ich von der Bühne gegangen und habe ihr in der Menge den Heiratsantrag gemacht. Viele Freunde waren da und waren eingeweiht – sie wusste von nichts und war dementsprechend überrascht. Das war schon ziemlich cool. Geheiratet haben wir dann im Mai des folgenden Jahres.

Sie: Wäre mein Mann nicht in mein Leben gekommen, wäre ich jetzt nicht so, wie ich bin. Durch unsere Beziehung ist mein Leben anders geworden. Er macht es mir lebenswert, in den er mir fast alles ermöglicht.

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Wie ist das im Freundeskreis – trifft man auch auf Unverständnis?

Er: Viele sogenannte Freunde und Freundinnen meiner Frau haben sich ziemlich sang und klanglos verabschiedet, was ich persönlich sehr bedauerlich finde. Oft war das ein schleichender Prozess über Jahre. Gerade wenn man nicht immer alles direkt mitbekommt oder sich nicht vorstellen kann, was bei dieser Erkrankung passiert, geht man auf Abstand. Die Hürde nachzufragen, wie es meiner Frau geht, wird dabei natürlich mit der Zeit immer größer.

Sie: Mit einer Freundin habe ich jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit telefoniert, wir haben uns oft gesehen. Als ich immer schwächer wurde ließ der Kontakt nach, bis er ganz endete. Ich vermute, dass sie mich wahrscheinlich nicht so verändert sehen kann. Mit meiner besten Freundin rede ich sehr selten über die MS. Wir kennen uns seit 35 Jahren, sie ist einfach immer da, wenn ich sie brauche. Dem Freundeskreis, dem brauchen wir uns nicht erklären. Diese Freunde wissen, wobei ich Hilfe brauche, und keiner ist beleidigt, dass wir nicht zu Besuch kommen können. Sie kommen hierher oder unterstützen mich, auch bei ihnen zu Hause. Da machen es mir meine Freunde schon leicht.

Er: Man muss sich arrangieren und das hat natürlich viel mit persönlicher Flexibilität zu tun und der Bereitschaft, sich darauf einzulassen.

Liebe Ela, lieber Mick, vielen Dank für Eure offenen Worte! Euer MS & ich Team