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 Maren ist jemand, die die Dinge gern in die Hand nimmt. Aktiv und selbstbestimmt. Und mit Multiple Sklerose. Das war nicht immer so. Es dauerte mehrere Jahre, bis sie ihre Diagnose bekam. Die MS traf sie mit Wucht und mitten im Leben. Ihr Leben mit der Erkrankung hat sie inzwischen gut im Griff. Über ihren Weg dahin und wie sie es schafft, ihr Leben mit MS so zu leben, dass es sich gut für sie anfühlt, erzählt uns Maren hier.

MS & ich: Maren, du lebst seit einigen Jahren mit MS. Wie ist es bei dir zur Diagnose gekommen? Welche Beschwerden/Symptome hattest du?

Maren: Bei den ersten Beschwerden war ich 14 Jahre. Immer wieder mal hab ich Doppelbilder gesehen, hatte ein eigenartiges Kribbeln in den Armen und Beinen. Deswegen sind wir auch zu mehreren Ärzten gegangen. Aber die meinten alle, ich hätte wohl keine Lust auf die Schule, würde mir das alles einbilden. Tatsächlich waren die Beschwerden meistens nach vier bis sechs Wochen wieder weg.

Du hast keine konkrete Diagnose bekommen?

Genau. MS ist ja nichts Handfestes wie ein gebrochenes Bein oder eine Kopfverletzung, sondern unsichtbar. Meine Beschwerden wurden auf die Psyche geschoben – was wirklich mit mir los war, konnte keiner so richtig erklären. Auch nicht, als ich vier Jahre später wieder diese Symptome hatte. Ich war in meiner ersten Ausbildung und in der Klausurenphase und wieder meinten die Ärzte, es sei eher psychisch.

Wann wurde MS tatsächlich bei dir diagnostiziert?

Als ich 21 Jahre alt war. Es war wieder in der Klausurenphase, ich war in meiner zweiten Berufsausbildung. Aber nun war es richtig schlimm: Erst kribbelte alles auf der linken Seite, dann dauerte es einen halben Tag und ich konnte den linken Arm und das linke Bein nicht mehr richtig bewegen, kaum noch laufen und nicht mehr zugreifen. Tja, und dann war ich links halbseitig wie gelähmt und kam ins Krankenhaus. Das MRT vom Kopf zeigte zwar zwei Herde, aber bei der Liquorpunktion kam nichts Auffälliges raus. Aber in einem anderen Krankenhaus wurde ich erneut auf den Kopf gestellt, wo dann nach einem weiteren MRT der Hals- und Brustwirbelsäule 17 Herde zu sehen waren. Nach weiteren Untersuchungen wie VEP, SEP etc. wurde dann die MS diagnostiziert.

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Das heißt, du hattest über sieben Jahre immer wieder Beschwerden, aber auch Phasen, in denen nichts passiert ist, und dann von jetzt auf gleich heftige Symptome, die zur Diagnose geführt haben?

Ja, es war ähnlich wie bei meiner Mama. Die hatte auch seit meiner Geburt 1991 eigenartige Beschwerden. Bei ihr schob man das auf ihre Bandscheibenvorfälle, die Diagnose Multiple Sklerose hat sie erst Weihnachten 2006 bekommen.

Du warst erst 21. Ein Alter, in dem einem die Welt und alle Türen offenstehen. Türen, die mit einer solchen Diagnose scheinbar zugehen. Wie ging es dir damit?

Ja, genau so habe ich mich wirklich gefühlt, aber nicht sofort. Meine Ärztin hat mich ganz fest in den Arm genommen und gesagt: „Ich hab eine schlechte Nachricht für dich, du hast MS.“ Und ich guckte sie an, drückte sie fest zurück und meinte: „Ja, ist doch gut.“ Darauf sie: „Warum ist das gut?“ Und ich: „Nun hat das Kind endlich einen Namen, ich weiß, was Sache ist, und ich habe mir sieben Jahre lang nichts eingebildet.“ Aber nach zwei, drei Wochen kam der Schock und ich dachte: Oh Shit, was mach ich denn jetzt mit meiner Ausbildung zur Altenpflegerin? Ich kann nicht richtig zugreifen, die Erkrankung wird ja jetzt nicht stillstehen, sie ist nicht heilbar. Was ist, wenn ich die Bewohner im Seniorenheim zum Beispiel nicht mehr ordentlich versorgen kann, nicht mehr 100% einsatzfähig bin? Zum Glück hatte ich bereits eine abgeschlossene Berufsausbildung im Büro. Altenpflegerin zu werden, war allerdings mein Herzenswunsch.

Hast du ihn dir erfüllt?

Nein. Viele wollten mir helfen, eine Lösung zu finden, damit ich die Ausbildung beenden kann. Aber ich war unsicher. In der Küche sind mir dann eine Müslischale runtergefallen und ein Glas Wasser aus der Hand gerutscht. Danach hab ich entschieden: Ich trau mir das nicht mehr zu – und hab meine Ausbildung schweren Herzens abgebrochen.

Wie gut aufgehoben hast du dich persönlich in deinem direkten Umfeld gefühlt, in der Familie und mit Freund*innen, nach deiner Diagnose?

Mit der Familie war alles tippi toppi – die kannten das alles schon von meiner Mama. Die haben mich aufgefangen. Vor allem mein Bruder war für mich sehr wichtig. Er hat mich in schwierigen Phasen oft zum Lachen gebracht und mir geholfen, mit meinem Leben positiv umzugehen. Zum Beispiel auch, den Rollator oder den Rollstuhl in der Öffentlichkeit zu nutzen. Das erfordert schon Mut mit Anfang/Mitte 20.

Wie haben deine Freund*innen reagiert?

Ich sag mal so, ich hab gelernt, dass zwischen Freund und Freund ein riesengroßer Unterschied ist. Die einen sind in jeder Situation Freunde, die anderen nur, wenn man funktioniert und nicht zum Beispiel im Krankenhaus liegt und nichts mitmachen kann. Ich hab meinen kompletten Freundeskreis auf den Kopf gestellt und akzeptieren müssen, wer nicht mehr dazugehört. Mittlerweile bin ich sehr sensibel, wenn neue Bekannte in mein Leben kommen. Ich brauche Menschen, die mich so nehmen, wie ich bin.

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Wie ging’s für dich weiter, auch beruflich?

Ich musste zu verschiedenen Beratungen, auch zu einer Dame, die für schwerbehinderte Menschen zuständig ist. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass keiner so richtig verstand, worum es mir eigentlich ging. Ich hatte die Ausbildung nicht aus Langeweile abgebrochen, sondern weil ich mir das nicht mehr zugetraut habe. Und ich wollte keine Betreuungskraft im Seniorenheim sein, sondern eine examinierte Altenpflegerin. Tja, wenn mir keiner Türen aufmachen will, muss ich das eben selbst tun, hab ich mir gedacht – und bin wieder zurück ins Büro gegangen. Es war mir egal, ob ich mit dem Rollstuhl dahin komme, mit dem Rollator oder was meine Arme sagen – ich wollte arbeiten, eine echte Aufgabe haben.

Hast du diese Aufgabe im Büro gefunden?

Ja, zunächst habe ich Teilzeit gearbeitet, später, drei Jahre nach der Diagnose, auch wieder Vollzeit. Ich wollte, wie andere auch, die Karriereleiter hochklettern. Nur weil ich eine Erkrankung habe, muss ich nicht zurückstecken, dachte ich mir.

Wie hast du das mit deiner Erkrankung hinbekommen?

So einfach wie gedacht war es tatsächlich nicht. Nach eineinhalb Jahren musste ich meinen Tagesablauf komplett durchtakten: Wann stehe ich auf, wann gehe ich zur Arbeit, wann komme ich heim, wann mache ich die Pferde, wann ruhe ich mich aus, wann schlafe ich. Wie koordiniere ich alles, damit ich es schaffe. Aber auf Dauer hatte ich meinem Körper doch zu viel zugemutet. Irgendwann versagten meine Beine komplett und ich saß fast ein Jahr im Rollstuhl und konnte wirklich nichts mehr so richtig alleine machen, außer arbeiten. Meine Familie hat mich im Haushalt unterstützt. Von meinen Freunden hab ich mich zurückgezogen, hatte einfach keine Kraft mehr, wenn ich von der Arbeit kam. Ich musste extrem viel schlafen. Alles, was ich selbst nicht geschafft habe, hat meine Familie übernommen. Allerdings war das immer sehr tagesformabhängig.

Hast du mit deinen Ärzt*innen über einen Therapiewechsel gesprochen, um deine Situation zu verbessern?

Ich hatte meine Neurologin gefragt, ob wir die Medikation ändern oder eine andere Therapie machen können. Denn natürlich war das für mich alles schwierig mit Mitte 20. Du siehst in den sozialen Medien wie Freunde feiern, Spaß haben, ausgehen. Und ich? Gehe arbeiten, bin zuhause und mache gar nichts mehr. Meine Ärztin hat dann das Thema Teilerwerbsminderungsrente ins Gespräch gebracht und mich zur Reha geschickt, wo auch ein arbeitsmedizinisches Gutachten erstellt werden sollte. In der Reha hatte ich verschiedene Untersuchungen und im Anschluss daran viele Tests und ein Gespräch mit dem Chefarzt. Er fragte mich, was ich mir für mein Leben vorstelle, was ich wirklich will. Ich hab geantwortet, dass ich Vollzeit arbeiten will, meine Tiere versorgen, wieder reiten, meine Freunde treffen, mit ihnen Spaß haben und und und. Der Arzt hat mir dann vorgeschlagen, mich komplett aus dem Arbeitsleben zu ziehen.

Was ging dir bei diesem Vorschlag durch den Kopf?

Ich hab gar nicht verstanden was er meinte. Aber er sagte, beides würde dauerhaft nicht gehen – entweder das eine oder das andere. Weiter wie bisher, damit würde ich meine Gesundheit aufs Spiel setzen und vielleicht würde ich noch mehr Symptome bekommen. Vielleicht hat er recht, dachte ich mir, vielleicht ist es gut, den ganzen Druck durch die Arbeit erstmal wegzunehmen. Ich hatte auch die Hoffnung, mein Körper verändert sich, ich komme aus dem Rollstuhl raus, kann wieder ein soziales Leben mit Freunden haben. Als ich dann den Termin beim Rentenversicherungsträger hatte, fühlte sich das schon komisch an: lauter ältere Leute und ich mit Mitte 20 …

… du hast dich aber entschieden, die Erwerbsminderungsrente zu beantragen?

Ja, aber es war nicht einfach für mich. Ich wollte die Tür, die sich durch diese Möglichkeit öffnete, nicht zumachen. Gleichzeitig überlegte ich: Was sage ich meinen Freunden, meinen Bekannten? Wie gehe ich damit um, wenn mich jemand fragt, was ich beruflich mache? Schaffe ich das alles? Aber ich hab mich darauf eingelassen, hab mir gesagt, okay, wir probieren das jetzt alles.

War es die richtige Entscheidung?

Absolut. Es dauerte kein Jahr und ich konnte wieder laufen, reiten, mit meinen Freunden etwas unternehmen. Denn nun konnte ich tagsüber meine Pausen so wählen, wie sie mein Körper brauchte, damit es mir besser geht. Im ersten Jahr der Erwerbsminderung hab ich ganz bewusst gelernt auf meinen Körper zu hören: Was mein Körper möchte, wie ich meinem Körper etwas aufgeben kann – und wie wir gemeinsam unseren Weg gehen können.

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