Das erste Mal, dass ich vom sogenannten Neuromodulationsanzug erfahren habe, war im Mai 2022.
Nachdem ich mir ein Promotionvideo von diesem Anzug angesehen habe, das ein Follower mir geschickt hatte, wusste ich: Diesen Anzug will ich auf jeden Fall ausprobieren! Im Video war eine junge Frau zu sehen. Sie war sehr schwerfällig mit Gehhilfen unterwegs. Der sogenannte Mollii Suit hat sie dabei unterstützt, ohne Hilfsmittel frei zu gehen.
Das hat mich sehr beeindruckt. Und neugierig gemacht, was dieser Anzug eigentlich ist und wie er funktioniert.
Elektrische Stimulation der Muskeln – für mehr Beweglichkeit
Ich habe mich dann schlau gemacht und herausgefunden, dass der Anzug mit über 50 Elektroden ausgestattet ist, die über eine Steuereinheit ganz individuell programmiert werden können. Deshalb bezeichnet man ihn auch als Elektroimpulsanzug. Die niederfrequenten Elektrostimulationen können die Muskeln entspannen und dabei Spastiken reduzieren. Durch die verminderte Spastik soll man dann imstande sein, Bewegungen wieder besser durchzuführen. Also habe ich recherchiert und einen Testtag in einem Sanitätshaus abgemacht. Da der Anzug recht neu auf dem Markt ist und eine hohe Nachfrage besteht, musste ich etwa drei Monate auf meinen Termin warten.
Die Probe aufs Exempel – ein voller Erfolg
Dann war es endlich so weit: Der Testtag stand vor der Tür. In einem Raum erwarteten mich bereits drei Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Sanitätshauses. Nach einer kurzen Einweisung und Erklärung durfte ich den Neuromodulationsanzug gleich anprobieren. Anschließend sollte ich verschiedene Bewegungen durchführen: Eine Aufgabe bestand darin, von einem Stuhl aufzustehen, zehn Meter zu gehen und wieder zurück zum Stuhl zu gehen und mich hinzusetzen. Außerdem musste ich ein paar Treppen steigen. Diese Aufgaben wurden von dem Personal des Sanitätsahauses ganz genau dokumentiert (Zeit, Anzahl der Schritte, Schrittlängen, Pausen).
Danach wurde die speziell auf mich programmierte Steuereinheit an den Elektroimpulsanzug angeschlossen. Anschließend ging es los: Meine Muskeln wurden 60 Minuten lang stimuliert. Während der Stimulation spürte ich immer wieder ein leichtes Kribbeln an verschiedenen Stellen meines Körpers.
Als die 60 Minuten um waren, sollte ich erneut die gleichen Aufgaben durchführen. Als ich vom Stuhl aufgestanden bin und die ersten Schritte machte, merkte ich: Ich konnte meine Beine deutlich besser spüren und auch die Bewegungen deutlich besser ausführen. Das Schweregefühl und die Anstrengung waren zwar noch da, aber ich hatte das Gefühl, mich besser bewegen zu können. Auch das Treppensteigen ging leichter. Ich konnte mein Kniegelenk spürbar besser anwinkeln, wodurch ich die Treppenstufen viel flüssiger überwinden konnte.
Als ich zusammen mit den Physiotherapeuten das Geschehene besprach, waren wir alle begeistert vom Vorher-Nachher-Effekt. Sie zeigten mir die Videoaufzeichnung von mir – und dort war der Unterschied nach der Stimulation deutlich sichtbar. Zusammen mit dem Team vom Sanitätshaus wurde das weitere Procedere besprochen.. Ich entschloss mich, eine vierwöchige Testphase auf eigene Kosten auszuprobieren. Also kontaktierte ich das Sanitätshaus und vereinbarte einen Zeitraum für die Testphase. Je näher der Termin rückte, desto stärker stieg meine Vorfreude.
Die Testphase – und endlich wieder Freude an der Bewegung
Endlich war es so weit: Der Elektroimpulsanzug kam bei mir zu Hause an. Zusätzlich waren eine Infobroschüre und ein Tagebuch dabei, das ich möglichst ausführlich führen sollte. Gleich nach der ersten einstündigen Stimulation wurden meine Füße spürbar warm. In der Regel werden sie nach längeren Sitzphasen richtig kalt, ohne Wärmflasche bekomme ich sie nie warm. Der Elektroimpulsanzug hat das gleich in den ersten 60 Minuten geschafft. Ich war richtig motiviert und freute mich schon auf die kommenden Tage.
Ich ließ mich also täglich für 60 Minuten stimulieren – meistens gegen Abend, am Wochenende auch mal in der Früh. Danach zog ich den Anzug wieder aus. Manchmal bemerkte ich während der Stimulation ein Kribbeln an meinem Körper, manchmal auch nicht. Mir fiel jedoch zunehmend auf, dass ich Bewegungen flüssiger ausführen konnte. Ich konnte beim Treppensteigen meine Knie besser anwinkeln. Und auch das Gehen fiel mir leichter. Trotzdem war das Gehen nach wie vor anstrengend und ich bewegte mich schwerfällig. Es gab auch Tage, an denen es mir richtig schwerfiel, mich zu bewegen, und ich die Wirksamkeit des Anzugs infrage stellte. Ab der dritten Woche merkte ich dann, dass mir freies Stehen und auch das Gehen leichter fielen. Anhand meiner Fitness-App konnte ich sehen, dass meine tägliche Schrittanzahl sich deutlich erhöht hatte und von Woche zu Woche stieg. Bevor ich den Neuromodulationsanzug hatte, lag mein Durchschnitt bei 250 Schritten pro Tag. Während der Testphase war der durchschnittliche Wert auf 440 Schritte am Tag gestiegen. In der letzten Woche der Testphase habe ich täglich sogar durchschnittlich 530 Schritte bewältigt. Auch meine Frau bemerkte den wöchentlichen Fortschritt. Zum Beispiel sagte sie, als wir nebeneinander im Bad Zähne putzten: „Ricky, du stehst ja frei da, ohne dich am Waschbecken festzuhalten.“ Das war nur eine Situation von vielen.
Ich war total motiviert und fand endlich wieder Freude an der Bewegung. Bisher hatte ich versucht, meinen körperlichen Zustand zu halten und eine Verschlechterung zu vermeiden.
Auch die nächtlichen Spastiken waren rückläufig und weniger ausgeprägt – doch vier Wochen gehen irgendwann zu Ende. Also kontaktierte ich das Sanitätshaus, und wir vereinbarten einen Rückgabetermin. Dort machten wir noch einmal eine Videoaufzeichnung meines Gangbildes und vom Treppensteigen. Auch die Physiotherapeuten stellten eine Verbesserung meiner Schrittanzahl und Schrittgeschwindigkeit fest.
Somit war die Testphase beendet. Mit den gesammelten Daten und dem Videomaterial habe ich einen Antrag auf eine „Definitiv-Versorgung“ bei meiner Krankenkasse gestellt. Nachdem der Antrag zunächst abgelehnt wurde, hat die Krankenkasse meinen Antrag auf einen Elektromodulationsanzug im Juli 2023 bewilligt, sodass ich ihn mittlerweile dauerhaft in meinem Alltag nutzen kann. Ich bin sehr glücklich, dass ich ihn nun langfristig zur Linderung meiner Spastiken einsetzen kann, und werde euch über die langfristigen Effekte des Anzugs hier auf MS & ich auf dem Laufenden halten.