Es gibt Momente, in denen ich merke, wie still ein Raum werden kann, wenn ich sage: „Ich habe Multiple Sklerose.“ Die Reaktion ist selten sofort greifbar – manchmal betretenes Schweigen, manchmal Mitleid, manchmal Verunsicherung. Genau in diesen Momenten wird mir klar, dass das Thema MS für viele Menschen noch immer ein Tabu ist.
Ich habe gelernt: Wenn wir wollen, dass unsere Erkrankung in der Gesellschaft ankommt, müssen wir sie sichtbar machen. Und dafür braucht es Kommunikation. Nicht belehrend, nicht aufdringlich – sondern offen, nahbar und alltagstauglich. Nur so können wir Barrieren abbauen.
Die Sprache finden – wie erkläre ich MS?
Ich war lange auf der Suche nach den richtigen Worten. Wie beschreibt man eine Krankheit, die so vielschichtig ist und doch oft unsichtbar bleibt? Irgendwann habe ich gemerkt, dass ein Vergleich mir hilft, mein Gegenüber mit ins Boot zu holen.
Ich sage manchmal: „Stell dir vor, dein Körper ist ein Nachrichtensystem. Das Gehirn schickt Signale durch deinen Körper wie eine E-Mail – doch bei mir kommt die Nachricht manchmal gar nicht an oder in seltsamer Form. Die Leitung ist gestört, weil mein Immunsystem die Hülle meiner Nerven angegriffen hat.“
Dieser Vergleich ist nicht medizinisch exakt, aber er macht MS greifbar. Und er hilft mir selbst, die Komplexität in Worte zu fassen. Ich spreche dabei auch gern über die Vielfalt der Symptome – davon, dass jeder Verlauf anders ist. Dass ich gute Tage habe, an denen ich mich ganz normal fühle, und andere, an denen mein Körper mir klare Grenzen setzt.
Je nach Gesprächspartner finde ich unterschiedliche Worte. Bei Kindern nutze ich einfache, bildhafte Sprache. Im beruflichen Kontext beschreibe ich eher die Auswirkungen auf meinen Alltag.

Warum ich öfter über MS spreche – und wann auch nicht
Früher dachte ich, ich müsse meine Krankheit erklären, wenn ich gefragt werde. Heute weiß ich: Manchmal lohnt es sich, das Gespräch selbst zu eröffnen – nicht um Aufmerksamkeit zu bekommen, sondern um Unsicherheit zu nehmen.
Je mehr ich über meine MS spreche, desto selbstverständlicher wird sie – nicht nur für mich, sondern auch für die Menschen um mich herum. Ich merke, wie Kolleginnen beginnen, mitzudenken. Wie Freundinnen verstehen, warum ich an manchen Tagen anders auftrete. Ich bin überzeugt: Nur wenn wir sichtbar sind, können wir Barrieren abbauen.
Gleichzeitig habe ich auch gelernt, dass Offenheit nicht gleichbedeutend mit Verfügbarkeit ist. Es gibt Tage, an denen ich nicht darüber sprechen möchte. Und das darf sein. Ich habe mir dafür einen Satz zurechtgelegt: „Heute ist nicht der richtige Moment, aber ich spreche gern ein anderes Mal darüber.“ Das gibt mir die Freiheit, selbst zu entscheiden, wann ein Gespräch gut für mich ist – und wann nicht.
Wenn andere emotional werden – und ich selbst auch
Nicht jeder reagiert souverän auf das Thema MS. Manchmal spüre ich, dass mein Gegenüber sich erschrickt oder nicht weiß, was sie oder er sagen soll. Vor allem bei Menschen, die mich gernhaben, kommt schnell Sorge auf – oder das Gefühl, nicht zu wissen, wie man helfen kann.
In solchen Situationen versuche ich, die emotionale Last ein Stück weit aufzufangen, ohne sie mir vollständig aufzuladen. Ich sage dann zum Beispiel: „Ich verstehe, dass dich das bewegt. Aber du musst keine Lösungen finden – es reicht, wenn du da bist.“ Diese Sätze helfen oft, das Gespräch zu entlasten und eine neue Nähe zu schaffen.
Und ja – manchmal bin ich selbst diejenige, die emotional wird. Es gibt Themen, die treffen mich unerwartet, auch wenn ich dachte, ich hätte schon Abstand gewonnen. Dann schlucke ich kurz, atme tief durch und sage: „Lass mich kurz sammeln, das geht mir gerade näher als gedacht.“ Ich finde, auch das darf sein.

Kleine Schritte – große Wirkung
Barrieren im Kopf verschwinden nicht über Nacht. Aber jedes Gespräch, jede Begegnung, jede offene Antwort ist ein Schritt in Richtung Verständnis. Ich habe gelernt, dass ich durch meine Art zu erzählen selbst mitgestalten kann, wie MS wahrgenommen wird – nicht als unberechenbares Schreckgespenst, sondern als Lebensrealität mit vielen Facetten.
Es ist nicht immer einfach. Aber es lohnt sich.
Vielleicht braucht es nicht immer die perfekten Worte – sondern einfach den Mut, das Gespräch zu beginnen.
