„Wir alle brauchen eine Ergänzung zu unserem Alltag – eine Möglichkeit die Perspektive zu ändern. Im Töpfern habe ich nicht nur ein neues Hobby gefunden. Es fordert und fördert mich gleichermaßen und gibt mir den Raum, selbstbestimmt zu handeln. Auf eine Art hilft mir das Töpfern also, mit meiner MS umzugehen.“
Neue Herausforderungen suchen
Kurz vor meinem 30. Geburtstag verspürte ich den Impuls, noch einmal richtig kreativ werden zu wollen. Es ging mir um das Handwerk – darum, mit den eigenen Händen etwas zu erschaffen. Doch nicht ausschließlich. Ich suchte eine Challenge, die mir neben dem Alltäglichen noch etwas anderes bietet. Was genau das ist, wollte und musste ich herausfinden – und so langsam komme ich dahinter.
Töpfern – für mich mehr als nur ein Hobby
Töpfern hat etwas mit Kontrolle zu tun: Ich erfinde Formen und setze sie um. Jedes Detail entsteht mehr oder weniger bewusst, durch Kurse und eigene Erfahrung weiß ich mittlerweile, wie mit dem Material Ton umzugehen ist.
Mit der Zeit sind Ausstellungen, Pop-ups, weitere Verkaufsplattformen und Workshops hinzugekommen. Für mich ist es eine Art des Auslebens. Meine ganz eigene Welt, von der ich nicht sonderlich abhängig bin, da ich weiterhin meinem Hauptberuf nachgehe.
Nicht abhängig? Das macht mich nachdenklich, denn im positiven Sinne bin ich es schon. Mal davon abgesehen, dass es nie einen festen Plan gab, wohin ich mit der Keramik möchte, kann ich jetzt ganz klar sagen:
Leben im Moment – Sorgen und Probleme für einen Augenblick vergessen
Im Kleinen geht es um Haptik, Feinmotorik und sensorisches Wahrnehmen. Das Arbeiten mit Ton erdet mich, da ich mit einem Naturprodukt verbunden bin und meinem inneren Kind den Freiraum lasse, sich auszutoben. Gleichzeitig ist es durch die Technik und das Material eine Herausforderung, bei der ich meine kognitiven Fähigkeiten trainiere. Sobald ich in den sogenannten Flow komme, kann ich alles andere um mich herum vergessen und nur im Moment leben. Gerade das tut mir wirklich gut, da ich mich häufig mit sehr langfristigen Planungen auseinandersetzen muss, zum Beispiel mit Medikamenteneinnahmen, Arztterminen.
Den Takt vorgeben – selbstbestimmt leben
Im Großen und Ganzen möchte ich meine Zeit gut nutzen, weil ich nicht weiß, wie es mir zu einem späteren Zeitpunkt gehen wird. Zeit ist ein kostbares Gut, vor allem für Menschen mit chronischen Erkrankungen wie der MS. Manchmal habe ich das Gefühl, als würde meine Zeit auf einer Uhr rückwärts ablaufen, weswegen ich sehr im Hier und Jetzt lebe.
Das Tempo für all das, was sich aus der Keramik und möglichen Events ergibt, gebe ich selbst vor. Sobald mir danach ist, weniger zu töpfern oder nur kleine Teile herzustellen, höre ich darauf. Ich sage auch einmal eine Anfrage ab, wenn es gerade nicht passt.
Die Ruhe in der Töpferkunst finden
Der positive Effekt im Alltag ist, dass ich eine Form der Erfüllung verspüre, die ich nicht in Worte fassen kann. Ich empfinde all das als eine Art Luxus, den ich mir gerade – körperlich wie mental – leisten kann.
Durch den geringen Kraftaufwand und die eher kleinen Bewegungen ist Töpfern auch mit leichten Einschränkungen gut machbar. Dabei töpfere ich variabel sowohl an der Scheibe als auch durch Handaufbau-Techniken. Vor allem letztere sind für Menschen mit Koordinationsstörungen, Fatigue oder anderen Symptomen geeignet.
Für mich spiegelt sich meine eigene Perfektion in unperfekten Werken wider. So ein bisschen beziehe ich das auch auf meine Krankheit.