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Was bedeutet Leben mit MS für eine Partnerschaft?
Das wollte ich mit meiner Frau Meike herausfinden und wir haben uns dazu einmal ganz ausführlich unterhalten.

Meike: Ricky, erinnerst du dich noch an den Moment als du die Diagnose MS bekommen hast?

Ricky: Na klar erinnere ich mich daran. Es war nicht ein konkreter Moment, sondern ein längerer Zeitraum, bis klar war, dass ich Multiple Sklerose habe. Nachdem bei mir eine Sehnerventzündung am rechten Auge festgestellt wurde, bekam ich vorsorglich eine Kortisontherapie. Die Neurolog*innen im Krankenhaus meinten, ich hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit MS. Sie wollten aber noch abwarten und nach sechs Monaten eine MRT durchführen. Die Sehnerventzündung verging bald und ich hatte sonst keine Beschwerden oder Symptome – also machte ich mir keinen Kopf. Ich war 24 Jahre alt und wollte das Leben mit dir genießen. Was hat das mit dir gemacht, Meike? Wie hast du dich in der Zeit gefühlt, bis die Diagnose feststand?

Meike: Ich konnte das alles gar nicht so richtig greifen, du hattest ja „nur“ eine Sehnerventzündung, ansonsten warst du superfit. Ich hatte auch Zweifel an der Diagnose, aber das lag sicher eher daran, dass ich nicht viel über MS wusste. Einen Menschen mit MS stellte ich mir viel älter und dauerhaft im Rollstuhl vor. Davon war ja bei dir nix zu sehen in der Zeit der Diagnosestellung. Heute weiß ich, dass MS sehr unterschiedlich sein kann und deine Sehnerventzündung der Anfang von MS bei dir war. Erst hab ich das, genau wie du, nicht wirklich ernst genommen und wir haben wie bisher fröhlich Pläne für die Zukunft geschmiedet und in den Tag gelebt. Nachdem sich die ersten sichtbaren Symptome zeigten, mussten wir uns aber neu darauf einstellen. Was denkst du, Ricky, welche Herausforderungen haben sich in deinem Leben ergeben, seitdem du MS hast?

Ricky: Für mich war es eine sehr große Herausforderung mit der Krankheit an die Öffentlichkeit zu gehen. Wann und wie „outet“ man sich? Außerdem wollte ich als eigentlich junger Mann nicht wahrhaben, dass ich plötzlich körperliche Einschränkungen hatte. Aber unausweichlich wurde ich damit im Alltag konfrontiert, zum Beispiel als meine Mitmenschen mitbekamen, dass ich Probleme beim Gehen hatte.

Zitat von Ricky: „Im Verlauf der Jahre merkte ich jedoch, je offener ich mit der Diagnose MS umging, desto mehr Verständnis und Offenheit bekam ich von meinem Umfeld zurück.“

Mittlerweile fällt es mir gar nicht mehr schwer über die MS zu reden. Im Gegenteil ... sonst würde ich dieses sehr offene Gespräch mit dir gar nicht zulassen und andere daran teilhaben lassen. Meike, inwiefern merkst du, dass die MS unser Familienleben beeinflusst?

Meike: Die Zeit der ersten Symptome war für mich die größte Herausforderung. Eigentlich sind wir sehr aktiv, unternehmen viel und sind gerne mit anderen Menschen zusammen. Festzustellen, dass nicht alles so geht wie vorher, war, denke ich, für uns beide doof. Wenn wir zum Beispiel einen Ausflug planten, überlegten wir genau, was und wie wir es machen sollten. Würdest du genug Kraft haben selbstständig zu laufen? Oder würden Zeitdruck, Stress, Hitze oder sonstige Gegebenheiten deine Geh-Reichweite mindern? So hatten wir doch des Öfteren unerwartet lange Pausen einlegen müssen, damit du dich wieder erholen konntest. Das hat mir einiges an Flexibilität und Empathie abverlangt. Wir hatten uns ja sogar dann noch mehr Zeit fürs Laufen eingeplant – und wenn das dann auch nicht geklappt hat, dann waren irgendwann alle frustriert. Weil wir uns doch vorher gut abgesprochen hatten. Und dann zu sehen, dass das trotzdem nicht ausreicht, und dann auch noch flexibel zu bleiben, ist nicht immer einfach.

Das ist nur ein Beispiel – und vielleicht denken andere, hört sich doch gar nicht so schlimm an. Aber wenn noch Zeitdruck oder Termindruck dazu kommen, andere Menschen an der Planung beteiligt waren und man denen vielleicht währenddessen auch noch kommunizieren muss, was bei dir nicht stimmt, dann wird es schon sehr anstrengend. So ein paar Unstimmigkeiten führten früher schnell zu Frust, kleinen Streits oder Unverständnis, auf beiden Seiten. Das war nicht schön, denn eigentlich mögen wir beide es gerne harmonisch.

Über die Zeit hat sich das aber viel besser eingependelt,

Zitat Meike: „wir haben gelernt besser miteinander zu kommunizieren. Wir mussten lernen, unsere Tage nicht zu sehr zu verplanen, beziehungsweise mehr Zeit einzuplanen.“

Ich musste lernen, flexibel zu bleiben, Termine abzusagen, was mir immer noch sehr schwerfällt, wenn wir merken, es könnte zu viel werden. Inzwischen haben wir drei Kinder – und wir sind immer noch gerne aktiv und unternehmen was. Aber wir sind besser darin geworden, uns mehr Zeit zu nehmen, für alles.

Was uns auch geholfen hat, waren dein Rollstuhl und dein Handbike, so können wir unsere gemeinsame und du deine Freizeit mehr genießen. Ich glaube, für unsere Kinder fühlt sich alles normal an, sie wachsen ja damit auf, und du gehst sehr offen mit allem um, so dass es sich für sie normal anfühlt. Für mich ist das Schönste, dich und die Kinder zu sehen, wenn du mit ihnen auf dem Boden liegst und Lego baust – wenn du Zeit hast – da braucht es gar nicht so viel Aktivismus.

Und wie siehst du das Ricky? Wie geht’s dir mit unseren Kids – hast du das Gefühl sie behandeln dich anders wegen der MS?

Ricky: Die Kids sind gnadenlos (lacht), die kennen mich fast nur mit Rollstuhl und langsamen Beinen. Für die ist das ganz normal. Sie streiten sich, wenn es darum geht, wer bei längeren Strecken auf meinem Schoß sitzen darf. Und sitze ich mal nicht im Rolli, dann fahren sie am liebsten selbst damit herum. Natürlich merken sie, dass ihr Papa in manchen Dingen anders ist, dass ich beim Laufen meine Zeit und meinen Platz brauche. Aber wie du schon gesagt hast, für sie zählt nicht was ich kann, sondern viel mehr wie ich meine Rolle als Papa auslebe: Wie viel Zeit nehme ich mir für sie? Interessiere ich mich für ihren Alltag? Das ist für sie wichtig – und auch für mich. Sag mal Meike, hast du konkrete Tipps für Angehörige von MS-Betroffenen?

Meike: Ich glaube, Kommunikation ist der Schlüssel für vieles. Das muss aber auch irgendwie von beiden ausgehen. Wir konnten zum Beispiel immer über alles reden und JEDER durfte erzählen, wie es ihm ging in den verschiedenen Situationen. Ich tendiere manchmal dazu Dinge selbst zu machen oder zu übernehmen, im Haushalt oder mit den Kindern, obwohl du sie auch machen könntest. Vielleicht machst du die Dinge anders oder es dauert ein bissl länger. Aber durch meine Ungeduld oder nicht es dir nicht zuzutrauen, kommst du gar nicht dazu, Dinge selbst zu probieren oder auch zu schaffen. Also

Zitat Meike: „ein Tipp wäre, nicht alles übernehmen, sondern zuzulassen, dass der Betroffene seine eigenen Erfahrungen machen darf.“

Das ist jetzt halt ein Tipp aus unserer ganz eigenen Geschichte heraus ... Was meinst du Ricky, welche positiven Dinge haben wir aus deiner MS-Erkrankung gezogen?

Ricky: Ich denke, wie auch bei anderen Schicksalsschlägen in unserem Leben, haben wir gemerkt,

Zitat Ricky: „solche erschwerten Umstände bringen uns näher zueinander.“

Wir nehmen uns mehr Zeit, dem anderen zuzuhören – und gemeinsam eine Lösung für das Problem zu finden oder auch gemeinsam die erlebten Emotionen zu verarbeiten. Außerdem versuchen wir im Hier und Jetzt zu leben. Nicht wie manch andere, die sagen, das mache ich erst wenn ich in Rente bin, wenn dafür Zeit ist. Wir wissen, wie schnell sich das Leben wenden kann. Wie schnell ein Schub oder ein Symptom sich verschlechtern können.

Zitat Ricky: „Deshalb genießen wir unsere gemeinsame Zeit als Paar und als Familie im Hier und Jetzt.“

Meike: Ich seh das genau wie du. Was ich besonders schön und positiv finde, als du mit deiner Krankheit in die Öffentlichkeit gegangen bist, da sind andere Menschen mit ihren Schwächen oder Problemen auch uns gegenüber offener geworden. Es ist doch oft so, dass jede*r versucht in der Gesellschaft mitzukommen, gut anzukommen. Und du hast den anderen erzählt, wie es dir wirklich geht, was dir schwerfällt, wo du Hilfe brauchst. Ich finde, das hat so eine Barriere, so eine Schutzwand gebrochen und das ist immer noch so – man kommt dadurch schneller, tiefer, ehrlicher und persönlicher mit Menschen ins Gespräch. Davon profitieren wir alle.