Bei der Multiplen Sklerose greift das Immunsystem fälschlicherweise Nervenstrukturen im Gehirn und Rückenmark (Zentrales Nervensystem, ZNS) an und kann sie dauerhaft beschädigen. Obwohl es Reparaturmechanismen im ZNS gibt, kann zerstörtes Nervengewebe oftmals nicht komplett wiederhergestellt werden. In der Folge kann es im Krankheitsverlauf zu Einbußen in der Wahrnehmung (Sensorik = Sehen, Hören, Schmecken, Gleichgewicht etc.), der Beweglichkeit (Motorik) oder den geistigen Fähigkeiten kommen. Deshalb sollte in der Behandlung der Multiplen Sklerose ein besonderes Augenmerk auf dem Schutz des ZNS liegen.

Schutzmechanismen im Gehirn: Die kognitive Reserve
Die gute Nachricht ist: Das Gehirn verfügt über eigene Schutzfunktionen, um mit entstandenen Schäden umzugehen. Was bedeutet das genau? Die sogenannte „Plastizitätsreserve“ oder auch „kognitive Reserve“ bezeichnet die Fähigkeit des Gehirns, vorhandene Beeinträchtigungen zu umgehen und sich der neuen Situation anzupassen: Schäden, die nicht repariert werden können, werden ausgeglichen, indem notwendige Abläufe über andere Gehirnregionen abgedeckt bzw. umgeleitet werden. Die geistigen Fähigkeiten werden so erhalten bzw. wiederhergestellt. Gehirnschäden äußern sich daher nicht sofort oder nur in geringem Umfang als Symptome der MS.
Allerdings ist diese Plastizitätsreserve endlich. Ist sie aufgebraucht, kommt es zu einem Fortschreiten der Erkrankung und damit zu entsprechenden Auswirkungen und Symptomen – z. B. wachsenden kognitiven Störungen.
Frühzeitig die kognitive Reserve erhalten
Aus diesem Grund ist es wichtig, die Plastizitätsreserve früh und effektiv zu schützen: Mit dem Einsatz einer verlaufsmodifizierenden Therapie zeitnah nach Diagnosestellung kann man die Chance haben, einen dauerhaften Schaden am ZNS zu vermeiden bzw. zu verzögern. Auch wenn eine Behandlung nicht mehr ausreichend wirksam ist, sollte die Therapie rechtzeitig umgestellt werden. Mehr dazu erfahren Sie auch hier.
Wenn Sie unsicher sind, ob Ihre derzeitige Therapie die passende ist, sprechen Sie Ihren Arzt darauf an. Auch folgende Informationen können Ihnen bei dieser Frage weiterhelfen: „Meine MS-Therapie“
Gehirntraining: Aktiv werden und sich selbst schützen
Die kognitive Reserve ist einer von mehreren Aspekten, der Einfluss auf Ihren Krankheitsverlauf haben kann. Allerdings können Sie versuchen, ihn selbst zu beeinflussen, und aktiv werden.
Der Umfang der kognitiven Reserve scheint individuell unterschiedlich zu sein: Bei Menschen mit einer höheren Plastizitätsreserve können die Auswirkungen auf die Gehirnfunktionen geringer sein als bei Personen mit geringerer Plastizitätsreserve. Wie hoch diese Fähigkeit bei Ihnen ausgeprägt ist, hängt von verschiedenen Ausgangsparametern ab. Dazu gehört auch, wie aktiv Sie Ihr Gehirn bisher genutzt haben, z. B. in Ihrem Beruf und Ihrem sozialen Leben. Im Allgemeinen kann man sagen: Je aktiver, desto größer Ihre kognitive Reserve.
Es ist zudem grundsätzlich möglich, die kognitive Reserve zu vergrößern: Mit dem Training Ihrer geistigen Fähigkeiten, aber auch mit regelmäßiger Bewegung und mit Sport können Sie für sich selbst einen großen Unterschied machen. Trainieren Sie Ihren Geist und seien Sie in Ihrem Sozialleben aktiv:

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Lernen Sie regelmäßig ein paar Wörter in einer anderen Sprache (z. B. mithilfe einer App)
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Schulen Sie Ihre Vorstellungskraft (z. B. durch Vorstellen des letzten Sommerurlaubs oder Merken von Namen/Nummern mithilfe von Geschichten)
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Integrieren Sie Kognitionsübungen in Ihren Alltag (z. B. mithilfe einer App oder Rätselheften)
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Lesen Sie regelmäßig ein Buch
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Spielen Sie Computerspiele, die die Augen-Hand-Koordination trainieren
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Rechnen Sie Ihre Einkäufe an der Kasse im Kopf zusammen
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Treffen Sie sich regelmäßig mit Freunden
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All das hält Sie geistig fit und kann Ihrem Gehirn helfen, mögliche Schäden durch Ihre Erkrankung auszugleichen, und ggf. so auch Ihre Symptome lindern. Warum fangen Sie nicht schon heute damit an?
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